Foto: Caroline Schreer

#dashassedavon // Jeder Tag ist eine Chance

„Das ist der Moment, wo wir sagen: Wir haben den schönsten Job der Welt.“ Dieser Moment, von dem Christoph Nieder erzählt, ist der, in dem er und seine Kollegen in die strahlenden Augen von Menschen blicken, die ihr Ziel erreicht haben und stolz darauf sind, eine offizielle Urkunde der IHK in den Händen zu halten, die ihre Leistung würdigt und dokumentiert. Menschen, die dies trotz schwieriger Bedingungen geschafft haben. Nieder ist Geschäftsführer der Wuppertaler Proviel GmbH; ein schlanker, großer Mann mit schwarzer Brille, kurzem dunklem Haar und einem breiten Lächeln, der viel und begeistert spricht. „Wenn jemand mit Mitte Vierzig sagt, das sei seine erste Prüfung überhaupt, seine erste bestandene Prüfung in seinem gesamten Leben, dann ist das großartig.“ Miguel Fischer nickt, er leitet die Berufliche Bildung. Seit zwei Jahren bietet Proviel IHK-zertifizierte Berufsausbildungen in Teilqualifikation an. Die anerkannte Werkstatt für Menschen mit Behinderung ist 1994 als Tochter des gemeinnützigen Forum e.V. entstanden – mit dem Ziel, psychisch erkrankten Menschen durch Training und Qualifizierung berufliche Teilhabe zu ermöglichen. Derzeit begleitet Proviel 730 Menschen, zuzüglich 250 im Auftrag des Jobcenters, qualifiziert und vermittelt theoretische/praktische Fähigkeiten und Schlüsselqualifikationen. Die Teilnehmer können in vielen verschiedenen Berufsfeldern tätig werden – sei es in der Küche, in der Metallabteilung, im eigenen Supermarkt oder in der Rollermontage. Dabei wird jeden Tag gefragt: „Was wollen Sie heute tun?“

Als die Kooperation mit der Bergischen Industrie- und Handelskammer startet, „bestehen sechs Teilnehmer ihre Prüfungen herausragend mit Einsen und Zweien“, erzählt Nieder beeindruckt. „Unsere Teilnehmer sind eingeschränkt arbeitsmarktfähig, das meist schon seit vielen Jahren“, erklärt er. „Das war zunächst der Knackpunkt bei der Ausbildung. Doch die IHK sagte, wenn wir gute Rahmenbedingungen für Arbeit schaffen, könnten wir das auch für die Ausbildung.“ Und so kann neben dem theoretischen und praktischen Unterricht bei Proviel vor Ort für jeden Prüfling ein individuelles Setting bei der Kompetenzfeststellung gestaltet werden: „Wenn jemand nicht gut lesen kann, werden die Fragen vorgelesen. Wenn jemand Prüfungsangst hat, kann eine Vertrauensperson hinzukommen.“ Ausgebildet wird momentan in der Lagerlogistik und im Lebensmitteleinzelhandel. „Das ist ein Riesending für unsere Teilnehmer“, sagt Miguel Fischer. Ebenso wie die Vermittlung in ein Arbeitsverhältnis auf dem ersten Arbeitsmarkt. „Das ist natürlich ein i-Tüpfelchen“, so Nieder. „Eine Teilnehmerin beispielsweise war zwölf Jahre in unserer Werkstatt. Vor drei Jahren konnte sie den Arbeitsvertrag für eine neue Stelle in der Versandabteilung eines Unternehmens unterschreiben. Sie sagte selbst, sie habe es uns lange schwer gemacht“, erinnert sich Christoph Nieder. „Hätte man sie aber aufgegeben, wären viele schöne Momente nicht passiert. Wenn man aufhört, sich jeden Tag neu zu begegnen, hat man bei unserer Arbeit schon verloren.“

 

Text: Csilla Lettay

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